29.10.2024, 19:09 Uhr
Von: Kim Hornicke
Bad Hersfelder betreibt Bruce Lees Kampfkunst und erklärt, was es mit den
Doppelmessern auf sich hat.
Hersfeld-Rotenburg – Tagsüber schraubt Kfz-Mechatroniker Michele Lasta aus
Bad Hersfeld hauptberuflich und „leidenschaftlich gerne“ an Autos, abends
steht der Familienvater vor einer Holzpuppe in seinem Trainingskeller und übt
Wing Chun. Ein Mal pro Woche unterrichtet er beim Turnverein Hersfeld Frauen und Männer, die sich verteidigen wollen. Die chinesische Kampfkunst,
die einst schon Schauspieler Bruce Lee berühmt machte, hat er vor 25 Jahren
für sich entdeckt, damals hat Lasta noch in Italien gelebt. 2015 zog der heute
40-Jährige auf der Suche nach einem neuen Job nach Deutschland. Hier hat
er Freunde und als Kind viele Sommer bei seiner Großmutter in Aschaffenburg
verbracht.
Ein leichter italienischer Akzent schwingt noch heute mit, wenn er konzentriert
über Wing Chun berichtet. Ab und zu verrutscht dem 40-Jährigen mit den
hellen Augen und dem Piercing in der Augenbraue ein deutscher Artikel, wenn
er die Feinheiten von Körperspannung und Konzentration erläutert. „Wing
Chun gehört zum Kung Fu und die Übungen sind so ausgelegt, dass man auch einen stärkeren Gegner überwältigen kann“, sagt Lasta, der aus der Region
um Venedig stammt.
Wie ein Gummiband: „Sifu“-Michele Lasta bringt
Schülern den Umgang mit Angreifern bei
Er rührt in seiner Teetasse, als er nach den richtigen Worten sucht, um seine
Leidenschaft besser zu beschreiben. Locker müsse man bleiben, und die
Schläge wie ein Gummiband hervorschnellen lassen, sagt der Wing-Chun
Trainer. Der Bad Hersfelder, den seine Schüler „Sifu“ (chinesisch: väterlicher
Lehrer) nennen, stellt bei jeder Trainingsstunde immer wieder klar: Wing
Chung ist nicht zum Angriff, sondern zur Verteidigung.
Kommen neue Schüler zu Lasta, sind die Übungen, die lauten Warnrufe und
das Training mit Körperkontakt für viele ungewohnt. Zaghaft wiederholen sie
die Arm- und Beinabfolge, die der Lehrer vormacht. Die meisten kommen mit
ernsten Anliegen zu dem Kampfsportmeister: Pflegekräfte und junge Frauen,
die bei einem Angriff vorbereitet sein wollen, aber auch Männer lernen bei
Lasta. Wenn er durch die Reihen geht, lässt er einen Schüler nach dem
anderen spüren, aus welcher Richtung der Druck kommen muss, in welchem
Winkel sie Arme, Hände und Beine bewegen müssen. Das ist anstrengend und
so mancher geht mit einem blauen Fleck nach Hause. Der Sifu will das
vermeiden und ermahnt deshalb immer wieder „Macht es langsam“ und fragt
„Alles okay bei dir?“. Dass die Übungsstunden vor allem Kopfsache statt
Beinarbeit sind, überrasche seine Schüler, erzählt er. „Die Konzentration ist
das Schwierigste dabei.“
In den Übungspausen nutzt der Sifu die Zeit mit seinen Schülern, um über
seine liebsten Themen zu sprechen: dem Gründungsmythos des Wing Chung
und wie die Bruce-Lee-Filme die Kampfkunst in Europa bekannt gemacht
haben. „Die Geschichte sagt, dass eine Nonne einst in China auf der Flucht vor
Soldaten war und den Kampf zwischen einer Schlange und einem Kranich
beobachtet hatte. So ist Wing Chung entstanden.“ Wenn Lasta erklärt, dann
fliegen seine Finger vor dem Brustkorb hin und her, beinahe als würde er ein
Orchester dirigieren. Den Wing-Chun-Grundsatz der „suchenden Hände“, den
Gegner nie aus den Augen zu lassen und auf Tuchfühlung zu bleiben, legt er
nie ganz ab.
Einsatz mit den Messern: „Körperbalance ist alles“
Lasta selbst gehört zur Akademie „Seven Circles Wing Chun“ und hat sich in
seiner ehemaligen Heimat Berlin zum Trainer ausbilden lassen. Als seine
Söhne zur Welt kommen, entscheidet sich die Familie zurück in die
Heimatstadt von Lastas Partnerin zu ziehen. In dem kleinen gelben
Einfamilienhaus in Bad Hersfeld zeugt nichts von seiner
Kampfsportleidenschaft, bis der Sifu zwei große Metall-Messer aus der
Schublade holt. „Die sind stumpf, keine Sorge“, erklärt er mit einem Lachen.
Die glänzenden Waffen seien nicht zum Angriff, sie sollen die Körperbalance
trainieren. In seinem Übungskeller hat er auch einen drei Meter langen Stock
an der Wand, diesen bei Übungen einzusetzen, ist Könner-Level. Insgesamt 15
Stufen können Wing-Chun-Lernende durchlaufen. Der 40-Jährige bereitet sich
gerade auf die 11. Stufe vor, reist für jede Prüfung nach Berlin.
Während ihn das Wing-Chun-Training früher sechs Tage in der Woche
beschäftigt hat, haben sich seine Prioritäten inzwischen geändert – jetzt fährt
er am Wochenende lieber Fahrrad mit seiner Familie, baut eine Schaukel oder
pflastert den Hof, „wie jeder Deutsche“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Kim Hornickel
https://www.hna.de/lokales/rotenburg-bebra/bad-hersfeld-ort56532/lee-hersfeld-rotenburg-wing-chun-meister-im-interview-so-kaempfen-wie-bruce-93377898.html